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Digitale Innovationen in der Notfallmedizin 2025 – Produkte & Verfahren, die Rettungsdienst verändern

Einleitung

Die Notfallmedizin ist traditionell stark auf Erfahrung, schnell verfügbare Geräte und standardisierte Abläufe angewiesen. In den letzten Jahren jedoch rücken zunehmend technische Innovationen in den Fokus: Verbindliche Datenübertragung, KI-gestützte Assistenz, tragbare Überwachungssysteme und autonome Hilfsmittel. Diese digitalen Helfer sind nicht als Ersatz für das klinische Urteil gedacht, sondern als Ergänzung – besonders in preklinischen Umgebungen, in denen Zeit, Ressourcen und Informationen knapp sind.

Im Folgenden stelle ich aktuelle Produkte und Verfahren vor, diskutiere ihre Stärken und Grenzen und zeige auf, wie Einsatzkräfte davon profitieren oder worauf sie achten müssen.


1. Produktbeispiel: Sempulse Halo – tragbarer Vitalsensor für den Rettungseinsatz

 

Was ist das?

Sempulse hat mit dem Halo einen miniaturisierten Wearable-Vitalsensor entwickelt, der hinter dem Ohr oder am Hals getragen wird. Er misst Parameter wie:

  • SpO₂

  • Pulsfrequenz

  • Atemfrequenz

  • Kerntemperatur

  • Hauttemperatur

  • Bewegung / Position

Diese Daten werden drahtlos (z. B. über Bluetooth Low Energy / BLE) an mobile Endgeräte und über eine Cloud-Plattform (Command Cloud) übertragen. Zudem analysiert eine KI (Life Analytics AI) prognostische Muster und priorisiert Patienten mit erhöhtem Risiko. Wikipedia

Der Halo erhielt bereits die FDA-510(k)-Zulassung (Mai 2024). 

 

Klinischer und pragmatischer Nutzen

  • Früherkennung von Verschlechterung: Bereits subtile Vitalwertänderungen könnten von der KI erkannt und als Alarm gemeldet werden.

  • Mehrere Patienten gleichzeitig überwachen: In Szenarien mit mehreren Verletzten kann das Gerät helfen, Prioritäten zu setzen (Triage-Unterstützung).

  • Lückenlose Überwachung: Selbst bei Transport oder Übergabe könnten Vitaldaten kontinuierlich verfolgt werden, statt nur zu Zeitpunktmessungen.

  • Integration in Telemedizin: Rettungsteam + Klinik können live auf Vitaldaten zugreifen – für gezielte Rückfragen oder Therapieempfehlungen.

Herausforderungen & Limitationen

  • Signalqualität & Artefakte: Bewegungen, Außentemperaturen, Feuchtigkeit oder schlechter Hautkontakt können Messfehler erzeugen.

  • Verbindungsprobleme: In Gebieten mit schlechtem Funknetz könnte die Datenübertragung stocken.

  • Datensicherheit & Datenschutz: Die Patientendaten sind sensibel – Verschlüsselung, Zugriffskontrollen und DSGVO-Konformität sind essenziell.

  • Alarmmüdigkeit: Wenn das System zu viele „false positives“ meldet, könnten Alarmwarnungen als unzuverlässig eingestuft werden.


2. Verfahren: CognitiveEMS – Wearable Assistenz durch multimodale KI

 

Was steckt dahinter?

Ein kürzlich veröffentlichter Ansatz nennt sich CognitiveEMS: ein System, das Echtzeit-Daten aus Audio, Video und Umgebungssensorik über AR-(Augmented Reality) Brillen verarbeitet, um Einsatzkräfte während ihrer Arbeit zu unterstützen. Ziel: eine Art kognitiver Assistent, der in kritischen Phasen Handlungsvorschläge macht.

Hauptkomponenten:

  1. Spracherkennung – erkennt Einsatzgespräche und Befehle in realer Umgebung

  2. Protokollvorschläge – schlägt auf Basis laufender Daten (z. B. Kombination von Vitaldaten und Umgebungsinformationen) passend gereihte Protokolle oder Behandlungsschritte vor

  3. Aktions­erkennung – erkennt bereits initiierte Maßnahmen und kann mit Vorschlägen korrelieren

Das System arbeitete in Tests mit Latenzen im Bereich von wenigen Sekunden und erreichte gute Trefferraten bei Protokollverläufen.

 

Bedeutung & Einsatzperspektiven

  • Reduktion kognitiver Last: In Stresslagen (z. B. Reanimation, Polytrauma) entlastet das System das Team, indem es Zwischenschritte prüft oder Hinweise gibt.

  • Qualitätssicherung: Durch Live-Feedback kann der Assistent auf mögliche Fehlentscheidungen hinweisen oder Differenzialdiagnosen vorschlagen.

  • Lernwerkzeug: Speziell für Auszubildende oder Neueinsteiger kann das System als „Mentor“ unterwegs dienen, indem es erklärt, warum bestimmte Maßnahmen sinnvoll wären.

Grenzen & Sicherheiten

  • Verlässlichkeit & Validierung: Jede Empfehlung muss kritisch bewertet werden; das System darf nicht als alleinige Entscheidungsinstanz gelten.

  • Missinterpretation & Kontextverlust: Wenn Umgebungsdaten falsch gedeutet werden, können falsche Vorschläge entstehen.

  • Technische Ausfälle: Software-, Hardware- oder Netzprobleme dürfen nicht dazu führen, dass das Team schlechter gestellt ist.

  • Schutz vor Übersteuerung: Das System sollte niemals Maßnahmen ohne Zustimmung ausführen oder erzwingen.


3. Innovation: CONNECT-AI – vernetzte präklinische Informationsplattform

 

Was beschreibt CONNECT-AI?

Kürzlich wurde ein System vorgestellt, das alle präklinischen Informationen in Echtzeit über 5G und IoT-Devices sammelt und in vernetzten Klinikumgebungen nutzbar macht.

Merkmale:

  • Automatischer Datenstrom von EKG, Vitalparametern, Medikamentengaben

  • Live-Kommunikation mit Klinikteams

  • Integration von Sensordaten aus Umwelt und Patientenmonitoring

  • Entscheidungsunterstützung durch KI auf Basis aggregierter Daten

Klinischer Mehrwert

  • Vorbereitung der Klinik: Bereits vor Eintreffen des Patienten weiß das Krankenhaus über wichtigsten Parameter Bescheid, kann Ressourcen (OP, Katheterlabor, Intensivplätze) allokieren.

  • Nahtlose Übergabe: Lückenloser Datentransfer vom Rettungsdienst zum klinischen System minimiert Informationsverluste.

  • Forschung & Mustererkennung: Aggregierte Daten ermöglichen Qualitätssicherung und Entwicklung besserer Protokolle.


4. Weitere spannende Entwicklungen im Blick

Innovation Beschreibung / Anwendungsbeispiel Relevanz für Rettungsdienst
Drohnen-AED / Material-Lieferung Unbemannte Fluggeräte transportieren AEDs, Medikamente oder Blutprodukte in schwer erreichbare Gebiete. arXiv+1 Verkürzung der Zeit bis zur Erstversorgung, besonders in ländlichen Gebieten
KI-unterstützte Notaufnahme-Triage (z. B. Shockmatrix) KI berechnet Risiko für hämorrhagischen Schock und unterstützt Triageentscheidungen anhand großer Datensätze. Le Monde.fr Integrierbar für den Übergang Rettungsdienst → Klinik
Wearable IoT im Telemedizin-Kontext Smartwatches oder andere Sensoren liefern Langzeit­daten, die telemedizinisch ausgewertet werden. journalofethics.ama-assn.org Ergänzung zu standardmäßigen Vitalmessungen im Einsatz
KI-basierte Zusammenfassung von Patientendaten (offline) Systeme, die unstrukturierte Krankenakten lokal zusammenfassen und in kompakten, klinisch relevanten Berichten aufbereiten. arXiv Erleichtert schnellen Zugriff auf entscheidende Informationen in der Klinikübergabe

5. Praktische Tipps für Einsatzkräfte & Auszubildende

  • Kritisch bleiben: Jede technische Empfehlung ist nur ein Hinweis – die klinische Einschätzung bleibt zentral.

  • Datensicherheit prüfen: Achte darauf, wie Geräte verschlüsseln, wer Zugriff hat und wie die Daten gespeichert werden.

  • Schulung & Simulation: Neues Equipment sollte vor Einsätzen in Simulationstrainings ausprobiert werden – um Bedienung, Fehlfunktionen und Grenzen kennenzulernen.

  • Fallback-Strategien vorhalten: Für den Fall, dass Technik ausfällt (z. B. Funkloch, Akku leer) – Standardverfahren müssen stets parallel verfügbar bleiben.

  • Feedbackprozess etablieren: Nach dem Einsatz: reflektieren, wo das Gerät geholfen hat, wo es störte, welche Anpassungen wünschenswert sind.


Fazit & Ausblick

Die vorgestellten Geräte und Verfahren sind nicht Zukunftsmusik – sie sind bereits in Pilotprojekten oder gar im kommerziellen Einsatz angekommen. Für den Rettungsdienst bringen sie Potenziale:

  • bessere Informationslage

  • schnellere und gezieltere Entscheidungen

  • optimierte Übergabe an Kliniken

  • Entlastung in Stresslagen

 

Gleichzeitig dürfen sie nicht zur Blackbox werden – Transparenz, Validierung und Integration ins bestehende System sind entscheidend

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