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Entbindung von der Schweigepflicht im Rettungsdienst – Rechtliche Grundlagen und ein wichtiges Urteil

Die Schweigepflicht gehört zu den zentralen rechtlichen Pflichten im Gesundheitswesen – auch im Rettungsdienst. Sie schützt die Intimsphäre der Patientinnen und Patienten und schafft Vertrauen in die medizinische Versorgung. Doch im Einsatz kommt es häufig zu Situationen, in denen Dritte – Angehörige, Polizei oder Arbeitgeber – Informationen verlangen. Hier stellt sich die Frage: Wann darf oder muss ein Rettungsdienstmitarbeiter von der Schweigepflicht entbunden werden?

 

1. Rechtliche Grundlagen der Schweigepflicht

Die Schweigepflicht ist in Deutschland auf mehreren Ebenen geregelt:

  • § 203 StGB: Strafrechtliche Schweigepflicht für Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Psychotherapeuten, Angehörige anderer Heilberufe, aber auch für Personen, die in deren Dienst stehen – also auch Rettungsdienstmitarbeiter.

  • Patientenrechtegesetz (§ 630a ff. BGB): Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit von Patientendaten.

  • DSGVO und BDSG: Datenschutzrechtliche Vorschriften, die die Verarbeitung personenbezogener Daten streng regulieren.

Verstöße gegen die Schweigepflicht sind keine Bagatellen: Es drohen Strafverfahren, Bußgelder, arbeitsrechtliche Konsequenzen und Schadensersatzforderungen.

 

2. Möglichkeiten der Entbindung von der Schweigepflicht

Die Entbindung kann in unterschiedlichen Konstellationen erfolgen:

 

a) Einwilligung des Patienten

  • Der Patient kann ausdrücklich oder stillschweigend in die Offenbarung seiner Daten einwilligen.

  • Die Einwilligung sollte – wenn möglich – schriftlich dokumentiert werden (z. B. im Einsatzprotokoll).

  • Bei stillschweigender Einwilligung: wenn Patient erkennbar möchte, dass Angehörige informiert werden („Sagen Sie meiner Frau, was los ist“).

b) Mutmaßliche Einwilligung

  • Wenn der Patient nicht einwilligungsfähig ist (z. B. bewusstlos), darf man davon ausgehen, dass er Informationen an nahe Angehörige weitergegeben haben möchte.

  • Aber: Es dürfen nur sachdienliche, medizinisch relevante Informationen weitergegeben werden, nicht jede Detaildiagnose.

c) Gesetzliche Offenbarungspflichten

  • In bestimmten Fällen besteht eine Pflicht, Informationen trotz Schweigepflicht weiterzugeben, z. B. bei:

    • Meldepflichtigen Infektionskrankheiten (IfSG)

    • Gefahr für Leib und Leben anderer (z. B. Fahrer mit akuter Epilepsieproblematik, der trotzdem Auto fahren will)

    • Gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung

3. Rechtsprechung zur Schweigepflicht: BGH-Urteil

Ein wichtiges Urteil zum Thema Schweigepflicht und deren Grenzen hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 28. Mai 2009 – Az. III ZR 207/08) gefällt.

Der Fall:

Ein Arzt hatte die Tochter einer Patientin über deren Gesundheitszustand informiert, ohne zuvor die ausdrückliche Einwilligung der Patientin einzuholen. Die Patientin verklagte ihn daraufhin wegen Verletzung der Schweigepflicht.

 

Entscheidung des BGH:

  • Die Schweigepflicht besteht auch gegenüber nahen Angehörigen.

  • Ohne ausdrückliche oder mutmaßliche Einwilligung darf keine Weitergabe erfolgen.

  • Eine mutmaßliche Einwilligung darf nur dann angenommen werden, wenn sicher ist, dass der Patient dies gewollt hätte.

Bedeutung für den Rettungsdienst:

  • Informationen dürfen Angehörigen nicht automatisch mitgeteilt werden.

  • Auch enge Familienangehörige haben keinen Rechtsanspruch auf medizinische Details, wenn der Patient dem nicht zugestimmt hat.

  • Bei Bewusstlosigkeit darf man davon ausgehen, dass der Patient lebenswichtige Informationen (z. B. „Herzinfarkt, er kommt jetzt in die Klinik XY“) weitergegeben haben möchte.

4. Praxisbeispiele für den Rettungsdienst

  • Einsatz bei bewusstlosem Patienten: Der Ehepartner fragt: „Was hat er?“ – Zulässig sind grundlegende Informationen, die dem Verständnis dienen („Wir vermuten ein Herzproblem, wir fahren sofort in die Klinik XY“). Nicht zulässig wäre: detaillierte Laborwerte oder Diagnosen, die noch gar nicht feststehen.

  • Anruf des Arbeitgebers: „Warum kommt unser Mitarbeiter nicht zur Arbeit?“ – Keine Auskunft, auch nicht, ob der Patient im Krankenhaus liegt.

  • Polizei fragt am Einsatzort: Hier gilt eine Abwägung. Wenn eine akute Gefahr für andere besteht (z. B. Fahrer bewusstlos nach Drogenkonsum), darf die Polizei informiert werden. Handelt es sich nur um allgemeine Informationen, gilt weiterhin die Schweigepflicht.

5. Konsequenzen für Rettungskräfte

  1. Immer Einwilligung einholen – wenn der Patient bei Bewusstsein ist.

  2. Mutmaßliche Einwilligung streng prüfen – nur notwendige Informationen weitergeben.

  3. Dokumentation der Offenbarung – festhalten, wem welche Informationen gegeben wurden.

  4. Bei Unsicherheit Rücksprache mit dem Notarzt – vor allem bei rechtlich heiklen Situationen.

6. Fazit

Die Schweigepflicht ist ein zentraler Bestandteil des Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Rettungsdienst. Eine Entbindung ist nur in klar geregelten Fällen möglich: durch ausdrückliche Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung oder gesetzliche Offenbarungspflichten.

 

Das BGH-Urteil von 2009 zeigt deutlich: Auch nahe Angehörige haben ohne Zustimmung kein automatisches Recht auf Information. Für Rettungskräfte bedeutet das, sensibel abzuwägen und im Zweifel zurückhaltend zu sein.

 

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