Der Rettungsdienst steht im Spannungsfeld zwischen medizinischer Notwendigkeit, rechtlicher Verantwortung und ethischem Handeln. Während die medizinischen Algorithmen klar vorgeben, wie Patienten behandelt werden sollen, stellt sich für viele Einsatzkräfte die Frage: Auf welcher rechtlichen Grundlage handeln wir eigentlich?
Eine der wichtigsten juristischen Grundlagen ist der Arzt/Patientenvertrag, der auch im Rettungsdienst Anwendung findet – selbst dann, wenn der Patient bewusstlos oder nicht mehr entscheidungsfähig ist.
1. Was ist der Arzt/Patientenvertrag?
Der Arzt/Patientenvertrag ist ein Dienstvertrag nach § 611 BGB.
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Dienstvertrag bedeutet: Der Arzt schuldet keinen Heilungserfolg, sondern eine fachgerechte Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst (lege artis).
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Der Patient wiederum verpflichtet sich zur Vergütung, wobei diese in Deutschland in der Regel durch die gesetzliche oder private Krankenversicherung übernommen wird.
Wichtig für den Rettungsdienst:
Obwohl NotSan, RettSan oder RA keine Ärzte sind, sind sie als „verlängerter Arm“ des ärztlichen Systems Teil dieses Vertrages. Der Einsatz im Rettungsdienst fällt also in denselben rechtlichen
Rahmen wie eine ärztliche Behandlung in der Praxis oder im Krankenhaus.
2. Wie kommt der Arzt/Patientenvertrag im Rettungsdienst zustande?
Im Rettungsdienst geschieht das Zustandekommen oft stillschweigend oder sogar ohne bewusste Entscheidung des Patienten:
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Ausdrückliche Einwilligung
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Der Patient ruft den Rettungsdienst und fordert Hilfe an.
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Durch das „Ja“ zur Behandlung kommt ein Vertrag zustande.
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Konkludentes Verhalten
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Schon das Zulassen einer Behandlung, z. B. das Hinstrecken des Arms zur Blutdruckmessung, ist eine Einwilligung.
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Mutmaßliche Einwilligung
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Bei bewusstlosen Patienten oder solchen, die nicht einwilligungsfähig sind, wird rechtlich davon ausgegangen, dass sie eine Behandlung wünschen, wenn diese lebensrettend oder notwendig ist.
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Praxisbedeutung: Jede Übernahme eines Patienten in die Behandlung begründet automatisch ein rechtliches Behandlungsverhältnis – auch ohne Unterschrift.
3. Pflichten des Rettungsdienstes im Rahmen des Arzt/Patientenvertrages
Der Vertrag bringt klare Pflichten mit sich, die auch für das nichtärztliche Personal gelten.
a) Fachgerechte Behandlung
Alle Maßnahmen müssen lege artis, also nach dem aktuellen Stand der Medizin und den geltenden Leitlinien, durchgeführt werden. Für NotSan und RettSan bedeutet das:
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Orientierung an Algorithmen und SOPs
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Arbeiten innerhalb der eigenen Kompetenzen und Qualifikationen
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Einbeziehung des Notarztes, wenn Maßnahmen ärztliche Kompetenz erfordern
b) Aufklärungspflicht
Auch im Notfall gilt: Patienten müssen – soweit möglich – über geplante Maßnahmen informiert werden.
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„Ich werde Ihnen jetzt eine Infusion legen, damit wir Medikamente geben können.“
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„Wir bringen Sie in die Klinik, um weitere Untersuchungen zu ermöglichen.“
c) Dokumentationspflicht
Alle Handlungen müssen dokumentiert werden: Vitalwerte, Maßnahmen, Medikationen, Patientenverhalten.
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Rechtsgrundsatz: „Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht.“
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Gute Dokumentation schützt Patienten und Einsatzkräfte gleichermaßen.
d) Schweigepflicht
Rettungskräfte unterliegen wie Ärzte der Schweigepflicht (§ 203 StGB).
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Keine Weitergabe medizinischer Informationen an Dritte ohne Einwilligung
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Ausnahme: Gefahr für Leib und Leben anderer oder gesetzliche Offenbarungspflicht
4. Rechte und Pflichten des Patienten
Rechte des Patienten:
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Selbstbestimmung: Der Patient darf eine Behandlung ablehnen – auch lebensrettende Maßnahmen. Voraussetzung: Er ist einwilligungsfähig.
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Aufklärung: Anspruch auf Information über Art, Risiken und Zweck der Maßnahmen (soweit im Notfall machbar).
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Einsicht in Dokumentation: Patienten dürfen Protokolle einsehen.
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Schadensersatz bei Fehlern: Fehlerhafte oder unsorgfältige Behandlung kann zu Haftung führen.
Pflichten des Patienten:
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Mitwirkungspflicht: Der Patient muss korrekte Angaben machen und die Behandlung nicht behindern.
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Vergütungspflicht: Im Rettungsdienst erfolgt diese über Krankenkassen oder Kostenträger.
5. Typische Einsatzsituationen und rechtliche Bewertung
a) Transportverweigerung
Ein Patient mit Atemnot lehnt den Transport ins Krankenhaus ab.
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Prüfung: Ist der Patient einwilligungsfähig?
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Vorgehen: Aufklärung über Risiken, Dokumentation der Ablehnung, ggf. Hinzuziehen des Notarztes.
b) Bewusstloser Patient
Eine bewusstlose Person wird gefunden.
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Behandlung auf Grundlage der mutmaßlichen Einwilligung ist zulässig und geboten.
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Sofortige Notfallversorgung ist rechtlich abgesichert.
c) Angehörige am Einsatzort
Angehörige fragen: „Was hat er?“
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Ohne Einwilligung des Patienten dürfen keine Details preisgegeben werden.
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Nur allgemeine Informationen oder organisatorische Hinweise sind zulässig.
d) Psychiatrischer Notfall
Ein Patient mit akuter Psychose verweigert lebensnotwendige Maßnahmen.
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In diesem Fall ist zu prüfen, ob er einwilligungsfähig ist.
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Bei fehlender Fähigkeit kann ggf. eine Zwangsmaßnahme nach PsychKG in Abstimmung mit Polizei/Ärztlichem Bereitschaftsdienst erfolgen.
6. Bedeutung des Patientenrechtegesetzes (§§ 630a–630h BGB)
Seit 2013 bündelt das Patientenrechtegesetz alle relevanten Regelungen:
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Anspruch auf fachgerechte Behandlung
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Anspruch auf umfassende Aufklärung
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Anspruch auf Dokumentation
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Anspruch auf Schadensersatz bei Behandlungsfehlern
Für den Rettungsdienst bedeutet das: Auch jede präklinische Maßnahme unterliegt denselben Anforderungen wie eine ärztliche Behandlung im Krankenhaus.
7. Praktische Konsequenzen für Rettungskräfte
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Handeln nach Leitlinien und SOPs – nur innerhalb der eigenen Kompetenzen
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Dokumentation – lückenlos, nachvollziehbar, rechtssicher
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Kommunikation – Patienten so weit wie möglich aufklären
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Patientenwillen respektieren – auch bei Verweigerungen
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Schweigepflicht beachten – keine unbefugten Auskünfte an Dritte
8. Fazit
Der Arzt/Patientenvertrag ist auch im Rettungsdienst die rechtliche Grundlage für jede Versorgung. Er macht klar:
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Patientenrechte gelten auch im Notfalleinsatz.
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Rettungskräfte tragen Verantwortung für eine rechtlich einwandfreie Behandlung.
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Aufklärung, Dokumentation und Respekt vor dem Patientenwillen sind ebenso wichtig wie die medizinische Maßnahme selbst.
Wer diese Grundsätze verinnerlicht, schützt nicht nur den Patienten, sondern auch sich selbst und sein Team vor rechtlichen Konsequenzen.
Weiterbildung für Rettungsdienstkräfte
Rechtliche Sicherheit ist genauso wichtig wie medizinisches Wissen. In unseren praxisnahen Weiterbildungskursen für den Rettungsdienst vermitteln wir:
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Aktuelle rechtliche Grundlagen (Patientenrechtegesetz, Schweigepflicht, Dokumentation)
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Kommunikationstechniken für den Einsatzalltag
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Fallbeispiele zu Transportverweigerung, mutmaßlicher Einwilligung und PsychKG
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Updates nach ERC/AHA und BKrFQG
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